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Jugendbotschafterreise 2010 von Leonie Schulz, Asia Circle

Wenn man an Asien denkt, denkt man meist an touristisch erschlossene Länder wie Thailand oder Indonesien, oder an politisch bedeutsame Länder wie China ,  Japan oder Korea. Seltener aber denkt man an die Mongolei. Die Mongolei ist für die Meisten ein Synonym für ganz weit weg, für etwas Exotisches und Unbekanntes. Man verbindet die Mongolei als Land vielleicht mit Nomaden und Rückständigkeit, und im Grunde genommen hat man gar keine wirkliche Vorstellung. Deshalb reizte mich, als ich auf das Jugendbotschafterprojekt des Asia Circle stieß, vor allen Dingen das Ziel Mongolei. Ich wollte mir selbst ein Bild von diesem Land, über das ich so wenig wusste, machen. Der Programmbeschreibung war zu entnehmen , dass ich mit den Menschen viel mehr in Kontakt kommen würde, als es bei einer einfachen Reise der Fall wäre. Ich zögerte also nicht und bewarb mich sofort. Nachdem meine umfangreichen Unterlagen - Lebenslauf, Motivationsschreiben, das aktuelle Zeugnis und ein Gutachten der Schule zusammengestellt waren, und ich zwei Telefoninterviews überstanden hatte, erhielt ich endlich die ersehnte Zusage. 

Und so ging es am 16. Juli für mich nach Stuttgart, wo die Übergabe der Urkunden durch die amtierende Bürgermeisterin Frau Eisenmann im Beisein der Vorsitzenden des Asia Circle, Frau Wöhler, stattfand. Dort traf ich auch Veronika Thalhammer, die andere Jugendbotschafterin für die Mongolei, sowie Jugendbotschafter für Südkorea und erfuhr allerlei Wissenswertes über das Programm. Die nächsten Wochen wollten nicht schnell genug vorbeigehen. Ich war sehr gespannt und auch ein wenig nervös, und las alles über die Mongolei, was ich in die Finger bekommen konnte. Am 29. Juli war es  endlich so weit. Von Berlin aus flogen Veronika und ich nach Ulaanbaatar, der Hauptstadt der Mongolei. 
Das Erste, was ich von der Mongolei sah, waren Hügel, weite, grüne, wunderschöne Hügel. Am Flughafen wurden wir von Frau Sharkuu vom Reiseveranstalter Ethno-Mongol, als Mitglied von Asia Circle  das Programm vor Ort  organisiert und zum Teil gesponsort hatte, und einem mongolischen Jungen in unserem Alter namens Oidi abgeholt, die uns begleiten würden. Zu allererst fuhren wir über die abenteuerlichen Straßen Ulaanbaatars zu unserer Gastfamilie.

Hier bekamen wir auch ein richtiges mongolisches Frühstück und probierten zum ersten Mal in unserem Leben Süüteitsei, einen gesalzenen Milchtee der traditionell in der Mongolei getrunken wird. Nachdem wir uns ein  wenig vom anstrengenden Flug erholt hatten, ging es auch schon los, und wir kämpften uns durch den Verkehr in Ulaanbaatar, der mehr als abenteuerlich ist, da die Autos kreuz und quer durcheinander fahren. Unsere erste Station war das Gandan – Kloster, das größte lamaistische Kloster der Mongolei. Hier sahen wir uns  einen Gottesdienst an, drehten nach einem buddhistischen Ritual die Gebetstrommeln, und besichtigten die 26 m hohe Statue der Gottheit Janraisig, eine Medizingottheit, die für den letzten Boghdo Khan, der blind war, erbaut wurde. Schätzungsweise 98% der Mongolen sind Buddhisten und man spürt, wie wichtig ihre Religion, die während der sowjetischen Herrschaft verboten war, für die Menschen ist.

Nach dem Mittagessen besuchten wir das Nationalmuseum, wo wir einiges über die Geschichte der Mongolei erfuhren, über die Zeit Chinggis Khans, die verschiedenen Stämme, die dort gelebt hatten, die Zeit, in der die Mongolei unter sowjetischer Herrschaft war, und noch über vieles mehr. Bevor wir nach Hause fuhren, stiegen wir noch auf den Berg Zaisan, wo das sowjetische Ehrendenkmal für ihre gefallenen Soldaten steht. Ich fand es sehr interessant, noch heute den großen sowjetischen Einfluss auf die Mongolei zu sehen. Auf dem Berg befand sich auch ein Ovoo, ein schamanischer Steinhaufen. Um diesen Steinhaufen läuft man dreimal im Uhrzeigersinn herum und legt dann ebenfalls einen Stein darauf. Dies soll  eine sichere Reise bescheren.

Der Tag endete mit dem Abendessen bei unserer Gastfamilie. Zu essen gab es Huushur, gebratene gefüllte Teigtaschen, und dazu Salat. Nach diesem anstrengenden Tag fielen wir schon früh ins Bett. Selbst an diesen schamanischen bzw. buddhistischen Ritualen teilzuhaben hat mir besonders gefallen an diesem ersten Tag, da man sich hierdurch den Leuten noch einmal auf eine ganz andere Art verbunden fühlt. 

Am zweiten Tag fuhren wir mit der Transsibirischen Eisenbahn in ein Nomadencamp in der Nähe von Zuunhaara, was ca. 200 km von Ulaanbaatar entfernt ist. Die Zugfahrt dauerte fünf Stunden, und wir vertrieben uns die Zeit damit, die Landschaft zu beobachten. Weite Felder, die wunderschönen Hügel, die ich schon aus dem Flugzeug beobachtet hatte, Flüsse und dazwischen die Jurten der dort lebenden Nomaden. Ich war voller Vorfreude auf das Camp. Und es stellte sich tatsächlich als wundervoll heraus. Vom Zug wurden wir mit einem Pferdegespann abgeholt und zum Camp gebracht. Wir waren in einer eigenen Jurte untergebracht, in der zwei Betten und ein kleiner Tisch, sowie ein Waschbecken standen. Oidi und Frau Sharkuu, ihre Tochter Anira und ihre Mutter waren in einer zweiten Jurte untergebracht.

Unsere Gastfamilie bestand aus einem jungen Paar mit zwei Kindern und der Oma. Es gab außerdem noch einen jungen Pferdeführer. Sie hatten eine große Kuhherde und eine große Pferdeherde. Besonders an ihren Pferden hängt das Herz der Mongolen, sie ersetzen gleichsam Auto, Fahrrad, Motorrad und Bus. Schon im Alter von wenigen Jahren lernen die Nomadenkinder das Reiten, egal ob Mädchen oder Junge. Besonders faszinierend finde ich, dass mongolische Pferde keine Namen, sondern nur Farbbezeichnungen haben, obwohl sich die Nomaden doch so mit ihnen verbunden fühlen. Sie kennen doch jedes einzelne ihrer Pferde und merken sofort, wenn eines fehlt. 

Veronika und ich versuchten, uns so gut es ging einzubringen. So halfen wir zum Beispiel beim Melken der Kühe mit. Während dies Veronika gut gelang, stellte ich mich als untalentiert dafür völlig  heraus. Mehr Spaß bereitete mir das Reiten. Wir unternahmen mehrere Ausritte und ich genoss das Gefühl auf dem Pferderücken zu sitzen und durch eine beeindruckende Landschaft zu galoppieren in vollen Zügen. Sehr gut hat mir die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Nomaden gefallen. So helfen sich zum Beispiel die umliegenden Familien alle gegenseitig, z.B. beim Einreiten der Stuten. Als wir während eines Ausrittes einmal bei einer anderen Familie vorbeikamen, luden sie uns sofort zu Süüteitsei und Abendessen ein. 
Ein bisschen problematisch war für uns prüde und in dieser Hinsicht verwöhnte Europäerinnen nur die Hygienesituation. So gab es zum Beispiel keine Toilette, und auch keinen Busch, hinter den man sich hocken konnte. Alles in allem war das Leben bei den Nomaden aber eine ganz besondere Erfahrung. Mir gefiel vor allem ihre enge Verbundenheit mit der Natur, und ihr scheinbar freies Leben. Hier in der Steppe hat man das Gefühl, wirklich frei zu sein. Man muss sich bloß auf ein Pferd schwingen und Losreiten, so scheint es zumindest. Auch sind die Nomaden keineswegs rückständig. Zwar sind sie sehr traditionell, und wollen auch Nomaden bleiben, aber fast alle besitzen inzwischen ein Handy und einen Fernseher, und viele auch ein Auto. In einer gewissen Hinsicht beneide ich die Nomaden um das Leben, welches sie führen, denn es ist einfach wunderschön dort. Aber es ist gleichzeitig auch ein hartes Leben, besonders im Winter, und ich bin mir nicht sicher, dass ich es leben könnte.

Zurück in Ulaanbaatar trafen wir mit dem Vorsitzenden der Demokratischen Partei, der größten Partei der Mongolei, sowie zwei weiteren Mitgliedern zusammen. Es war sehr interessant für uns, einmal so ranghohe Politiker kennen zu lernen, und wir erfuhren eine Menge über die Situation der Mongolei. Zum Beispiel redeten wir über die Bildungspolitik, und darüber, dass weniger Mongolen im Ausland studieren, als früher, weil die Universitäten im Land immer besser werden. Wir sprachen auch über die Zukunft der Nomaden, die alle Politiker als sehr positiv darstellten, denn die meisten  Nomaden wollen auch in Zukunft welche bleiben, wenige von ihnen könnten in Ulaanbaatar leben. Auch die wirtschaftliche Situation und die Beziehungen der Mongolei zu Deutschland waren ein Thema.

Die Mongolei ist nicht so attraktiv für viele Firmen wie China oder Indien da es hier viel weniger  Einwohner gibt und aus diesem Grund nicht so billig produziert werden kann. In den letzten Jahren wurde aber viel in den Bergbausektor investiert, und auch Erdöl im Land gefunden, was viele ausländische Firmen anlockt. Die Zukunft der Mongolei stellen die Politiker daher sehr positiv dar. Sie haben vor, das Geld aus den Einnahmen an die Bevölkerung zu verteilen. Eigentlich wünscht sich die Mongolei einen Wohlfahrtsstaat. Es gibt aber noch keine Krankenversicherung oder Arbeitslosenversicherung. Die Mongolen hoffen aber, dass sie in den nächsten Jahren in der Lage sein werden, dies aufzubauen. 
Unser Weg führte uns weiter zum Parlamentsgebäude, dessen neue Fassade erst 2006 fertig gestellt wurde. Wir trafen uns dort mit dem Ex- Ministerpräsidenten Amarjargal, der sich sehr dafür interessierte, wie uns die Mongolei gefiel. In einer sehr lockeren Gesprächsathmosphäre erzählte er uns einige Anekdoten, wie z.B. über ein Treffen mit Ex- Bundespräsident Roman Herzog. Wir bekamen sogar eine Führung durch das Gebäude und hatten auch die große Ehre, den Standartensaal betreten zu dürfen. Hier werden z.B. ausländischen Botschaftern ihre Urkunden verliehen. Neun Standarten aus dem Schweifhaar der besten mongolischen Pferde stehen auf Kästen, in denen Erde aus den einzelnen Provinzen zusammengetragen ist. Ich glaube, dieser Saal war am Beeindruckendsten für mich, weil mir in dieser ehrfurchtsvollen Atmosphäre noch einmal klar wurde, wie sehr die Mongolen eigentlich ihr Land lieben.

Unseren vorletzten Tag verbrachten wir  im Kinderferiendorf Nairamdal, wo wir mit mongolischen Jugendlichen in unserem Alter in Kontakt kamen. Besonders interessant war, wie sehr uns diese Jugendliche trotz aller kulturellen Unterschiede ähnlich waren. Sie hörten die gleiche Musik, besaßen dieselben Handys, trugen dieselbe Kleidung und verhielten sich, soweit wir dies ohne mongolische Sprachkenntnisse beurteilen konnten, sehr ähnlich. Es war eine schöne Erfahrung, und wir hatten viel Spaß beim Kartenspielen und Tanzen in der abendlichen Disko. Unseren letzten Tag verbrachten wir größtenteils mit Shoppen und Packen. Das Abendessen bei unserer Gastfamilie war wieder sehr lecker. Vor unserem Abflug am nächsten Morgen probierten wir noch Airag, vergorene Stutenmilch, aber sie bekam uns nicht besonders gut. Obwohl wir nur einen kleinen Schluck davon zu uns nahmen, wurde uns sofort schlecht.

Und dann hieß es schon Abschied nehmen. Beim Abflug beobachtete ich noch einmal die Hügel, sie waren mein erster und letzter Eindruck von der Mongolei. Was habe ich mitgenommen aus dem Land Chinggis Khans? Nun, sehr viel: Durch den Kontakt mit Menschen verschiedener sozialer Gruppen habe ich tiefe Einblicke in das gesellschaftliche und kulturelle Gefüge des Landes erhalten und eine Ahnung davon bekommen, wie sehr sich das Land in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert hat. Einerseits gibt es die unberührte Natur und die Menschen, denen diese so am Herzen liegt und die Nomaden, die noch immer sehr traditionell leben. Zum anderen gibt es dieses wirtschaftlich und auch bildungspolitisch aufstrebende Land mit einer der stabilsten Demokratien Asiens. Das alles hat mich sehr fasziniert und begeistert. Ich möchte mich aus diesem Grund beim Asia Circle, und besonders bei Frau Wöhler dafür bedanken, dass Sie mich ausgewählt haben, sowie bei Frau Sharkuu und meiner mongolischen Gastfamilie. Danke schön, dass Sie alle mir diese Reise ermöglicht haben! Ich werde sie gut in Erinnerung behalten und bestimmt auch in Zukunft ganz anders an neue Kulturen herangehen. 

Leonie Schulz